Nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 VOB/B kann der Auftraggeber den Vertrag kündigen, wenn der Auftragnehmer seine Zahlungen einstellt, von ihm oder zulässigerweise vom Auftraggeber oder einem anderen Gläubiger das Insolvenzverfahren (§§ 14 und 15 InsO) beziehungsweise ein vergleichbares gesetzliches Verfahren beantragt ist, ein solches Verfahren eröffnet wird oder dessen Eröffnung mangels Masse abgelehnt wird. Gemäß § 103 Abs. 1 InsO hat der Insolvenzverwalter bei gegenseitigen Verträgen, die zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Schuldner und vom anderen Teil noch nicht vollständig erfüllt sind, ein Wahlrecht, ob er die Erfüllung der wechselseitigen Vertragspflichten verlangt oder ablehnt. § 119 InsO schützt dieses Wahlrecht, indem danach Vereinbarungen unwirksam sind, durch die die Anwendung der §§ 103 bis 118 InsO im Voraus ausgeschlossen oder beschränkt wird.
Der VII. Zivilsenat des BGH hat bereits in seinem Urteil vom 07.04.2016 – VII ZR 56/15 darauf hingewiesen, dass die insolvenzabhängige Lösungsklausel in § 8 Abs. 2 Nr. 1 Fall 2 i.V.m. § 8 Abs. 2 Nr. 2 VOB/B 2009 nicht gemäß § 134 BGB wegen Verstoßes gegen §§ 103, 119 InsO unwirksam ist und die Regelung auch nicht gemäß § 307 Abs. 1, 2 BGB wegen unangemessener Benachteiligung des Auftragnehmers unwirksam ist, wenn sie vom Auftraggeber in einem Bauvertrag gestellt wird. Zentrales Argument für den BGH war dabei, dass der Bauvertrag nach § 649 BGB a.F. (nunmehr § 648 BGB) ohnehin kündbar ist und darüber hinaus die Kündigungsmöglichkeit der besonderen Interessenlage der am Bau Beteiligten entspreche.
Der IX. Zivilsenat des BGH bestätigt in seinem Urteil vom 19.10.2023 – IX ZR 249/22 nochmals die Zulässigkeit der Kündigung nach § 8 Abs. 2 VOB/B. Die Wirksamkeit der insolvenzabhängigen Lösungsklausel ist allerdings von der Frage der Anfechtbarkeit der Herstellung der Aufrechnungslage zu trennen. Die insolvenzrechtliche Unwirksamkeit ergreift nur die gläubigerbenachteiligende Wirkung der Herstellung der Aufrechnungslage, nicht jedoch das Grundgeschäft, also die Kündigung. Führt eine vom Besteller ausgesprochene Kündigung eines Bauvertrags aus wichtigem Grund dazu, dass sich die Forderung des Schuldners auf Werklohn und eine Gegenforderung auf Schadensersatz wegen Fertigstellungsmehrkosten aus einem anderen Vertragsverhältnis aufrechenbar gegenüberstehen, ist die Herstellung der Aufrechnungslage gläubigerbenachteiligend. Die Wirksamkeit der Kündigung steht daher der Anfechtbarkeit der Herstellung der Aufrechnungslage nicht entgegen.
Der Besteller bzw. Auftraggeber kann damit im Ergebnis den Bauvertrag aus wichtigem Grund nach § 8 Abs. 2 VOB/B kündigen, die daraus resultierende Schadensersatzforderung steht aber nicht als "Aufrechnungspotenzial" gegen die Forderung des insolventen Auftragnehmers bzw. des Insolvenzverwalter aus einem anderen Vertrag zur Verfügung. Ausdrücklich offen gelassen hat der BGH in seinem Urteil vom 19.10.2023 – IX ZR 249/22 die Frage, ob die Möglichkeit der Aufrechnung innerhalb ein- und desselben Vertrags möglich ist, was der VII. Zivilsenat in seinem Urteil vom 23.06.2005 – VII ZR 197/03 noch bejaht hat.