| Vergaberecht

Auskömmlichkeit des Angebots

Die Frage, wann ein Angebotspreis unangemessen niedrig – so die Formulierung in § 16d, § 16d EU und § 16d VS VOB/A – bzw. ungewöhnlich niedrig erscheint – so die Formulierung in § 60 VgV, § 54 SektVO, § 33 VSVgV und § 44 UVgO –, beschäftigt immer wieder die Vergabekammern und die Vergabesenate. Die Vergabekammer Sachsen hat in ihrem Beschluss vom 30.03.2023 - 1/SVK/002-23 nochmals wesentliche Grundsätze der Preisprüfung auf der dritten Wertungsstufe zusammengefasst.

 

Sachverhalt

 

Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens waren Bauarbeiten für die Lüftungstechnik. Das Leistungsverzeichnis enthielt neben Installationsarbeiten auch die Position Wartungsvertrag. Nach dieser Position setzte sich der jährliche Wartungspreis (Einheitspreis) zusammen aus der Wartung Geräte und der Wartung Maschinen. Im Leistungsverzeichnis wurde darauf hingewiesen, dass der angebotenen Preise für die Wartung für vier Jahre nach § 25 VOB/A in die Wertung einbezogen wird. Die Antragstellerin, deren Angebot in der Submission mit einem Vorsprung von 20.000 EUR auf Rang 1 gelegen hatte rügt, dass das Angebot der Beigeladenen, auf welches die Vergabestelle den Zuschlag erteilen wolle, hinsichtlich des Wartungsangebotes nicht auskömmlich sei und zudem diesbezüglich eine Mischkalkulation vorliege und stellt einen Nachprüfungsantrag.

 

Entscheidung

 

Die Vergabekammer Sachsen weist den Nachprüfungsantrag als unbegründet zurück. Erscheint ein Angebotspreis unangemessen niedrig und ist anhand vorliegender Unterlagen über die Preisermittlung die Angemessenheit nicht zu beurteilen, ist vor Ablehnung des Angebots vom Bieter in Textform Aufklärung über die Ermittlung der Preise oder Kosten für die Gesamtleistung oder für Teilleistungen zu verlangen, gegebenenfalls unter Festlegung einer zumutbaren Antwortfrist. Bei der Beurteilung der Angemessenheit prüft der öffentliche Auftraggeber - in Rücksprache mit dem Bieter - die betreffende Zusammensetzung und berücksichtigt dabei die gelieferten Nachweise, § 16d EU Abs. 1 Nr. 2 VOB/A.

 

Wann ein ungewöhnlich niedriger Angebotspreis und mithin eine Aufklärungspflicht des öffentlichen Auftraggebers vorliegt, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls. Die Frage der Unangemessenheit eines Preises kann sich nicht nur aufgrund des signifikanten Abstandes zum nächstgünstigen Gebot im selben Vergabeverfahren stellen, sondern gleichermaßen etwa bei augenfälliger Abweichung von in vergleichbaren Vergabeverfahren oder sonst erfahrungsgemäß verlangten Preisen.

 

Die Vergabekammer Sachsen geht hinsichtlich der Aufgreifschwelle davon aus, dass der öffentliche Auftraggeber jedenfalls dann verpflichtet ist, in die Prüfung der Preisbildung einzutreten, wenn der Abstand zwischen dem Angebot des bestplatzierten und dem Angebot des zweitplatzierten Bieters mindestens 20 % beträgt. Dabei ist für die Frage der Angemessenheit eines Angebots auf dessen Gesamtpreis abzustellen und nicht auf einzelne Preispositionen. Die Unangemessenheit einzelner Positionen trägt regelmäßig nicht die Besorgnis einer nicht einwandfreien Ausführung der ausgeschriebenen Leistungen. Der Ausschlusstatbestand des § 16d EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A ist deshalb nicht gegeben, wenn ein Bieter für nur eine bestimmte Einzelleistung keinen oder einen auffallend niedrigen Preis eingesetzt hat.

 

Als Bezugspunkt für die Prüfung der Unangemessenheit eines Preises können nach Ansicht der Vergabekammer Sachsen auch Angebote herangezogen werden, die wegen formaler Mängel vom Wettbewerb ausgeschlossen wurde.

 

Im zu entscheidenden Fall wies der Gesamtpreis des Angebots der Beigeladenen sowie dessen Gesamtwertungspreis keine signifikanten Abweichungen vom nächsthöheren Angebot aus, so dass die Aufgreifschwelle von 20% schon nicht erreicht wurde.

 

Auch eine unzulässige Mischkalkulation nimmt die Vergabekammer Sachsen nicht an. Eine unzulässige Mischkalkulation liegt nach der Rechtsprechung des BGH (vgl. nur Urteil vom 24. Mai 2005 – X ZR 243/02) nur dann vor, wenn ein Bieter in seinem Angebot nicht denjenigen Preis angibt, den er für die jeweilige Leistung tatsächlich beansprucht, sondern beispielsweise den für eine Leistungsposition geforderten Einheitspreis auf andere Leistungspositionen verteilt. Vergaberechtlich problematisch sind deshalb insbesondere Angebote, bei denen der Bieter die von ihm tatsächlich für einzelne Leistungspositionen kalkulierten und damit faktisch auch geforderten Einheitspreise nicht offenlegt, sondern - aus welchen Gründen auch immer - ganz oder teilweise in anderen Positionen "versteckt". Die Angebotsstruktur ist dann dadurch gekennzeichnet, dass deutlich unter den zu erwartenden Kosten liegende Ansätze bei bestimmten Positionen auffällig hohe Ansätze bei anderen Positionen des Leistungsverzeichnisses gegenüberstehen. Dieses "Abpreisen" und "Aufpreisen" hat zur Folge, dass die für die jeweiligen Leistungen geforderten tatsächlichen Preise weder vollständig noch zutreffend wiedergegeben werden. Ein solches Angebot widerspricht § 53 Abs. 7 Satz 2 VgV und ist wegen seines Manipulationspotentials zwangsläufig ungeeignet, einer transparenten und alle Bieter gleich behandelnden Vergabeentscheidung zugrunde gelegt zu werden. Deshalb sind Angebote, bei denen der Bieter die Preise einzelner Leistungspositionen im Wege der "Mischkalkulation" (teilweise) auf andere Leistungspositionen umlegt, grundsätzlich gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 5 VgV von der Wertung auszuschließen.

 

Der Vermutungstatbestand ist jedoch nicht schon dann erfüllt, wenn das Angebot lediglich niedrige Preise enthält, denn es gibt keinen Erfahrungssatz, dass solchen Preisangaben entsprechende Aufpreisungen gegenüberstehen.

 

Dr. Ronald M. Roos, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht, Fachanwalt für Versicherungsrecht
Dr. Ronald M. Roos