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Bauleistungsversicherung: Wer hat die Unvorhersehbarkeit des Schadenseintritts nach A § 2 Nr. 1 ABN 2008/2011 bzw. A1-2.1 ABBL 2018 zu beweisen?

Mit dieser Frage hat sich das OLG Düsseldorf in einem gerade veröffentlichten Beschluss vom 09.10.2023, Az. I-4 U 107/23, RuS 2024, 449, auseinandergesetzt. Die Entscheidung ist zwar zur Inhaltsversicherung ergangen. Sie lässt sich jedoch auf die Bauleistungsversicherung übertragen, da die zugrunde liegende Klausel in den Versicherungsbedingungen mit der entsprechenden Klausel in der Bauleistungsversicherung wortgleich ist.

 

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:

 

Der Versicherungsnehmer ist Zahnarzt. Er verlangt Erstattung für einen in seiner Praxis eingetretenen Schaden aus einer Inhaltsversicherung. Im Rahmen der Inhaltsversicherung gedeckt sind neben Schäden aus bestimmten benannten Gefahren auch Schäden durch unbenannte Gefahren. Die entsprechende Klausel lautet wie folgt:

 

"Der Versicherer leistet Entschädigung für versicherte Sachen, die durch andere als durch die in den speziellen Bedingungen versicherten Gefahren und Schäden unvorhergesehen zerstört oder beschädigt werden oder im Zusammenhang mit einem solchen Versicherungsfall abhandenkommen.

 

Unvorhergesehen sind Schäden, die der Versicherungsnehmer oder seine Repräsentanten weder rechtzeitig vorhergesehen haben noch mit dem für die in seinem Betrieb ausgeübte Tätigkeit erforderlichen Fachwissen hätten vorhersehen können, wobei nur grobe Fahrlässigkeit schadet.“

 

Der Zahnarzt wird in einem Vorverfahren von seinem Vermieter auf Räumung der Praxis verklagt. Im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs verpflichtet sich der Zahnarzt, die Praxis bis zum 31.03.2021 zu räumen. Wenig später ficht der Zahnarzt den gerichtlichen Vergleich an und setzt das Verfahren fort. Dies bleibt im Ergebnis erfolglos. Zwischenzeitlich leitet der Vermieter die Räumung im Wege der Zwangsvollstreckung aus dem gerichtlichen Vergleich ein. Vor Beginn der Vollstreckung warnt der Zahnarzt mehrfach vor Schäden, die durch die Zwangsvollstreckung an seiner sensiblen Praxiseinrichtung eintreten könnten, wenn nicht hinreichend geschultes Personal die Geräte abbaut. Trotz der Warnung erfolgt die Räumung auf entsprechende Anordnung des Vermieters durch den Hausmeister und einen von diesem beauftragten – im Hinblick auf die Praxiseinrichtung nicht speziell geschulten – Elektriker. Dabei kommt es zu Schäden an den Praxisgeräten. Die Entschädigung dieses Schadens verlangt der Zahnarzt von dem Inhaltsversicherer im Klagewege, nachdem der Versicherer außerprozessual die Regulierung verweigert hatte.

 

Das OLG Düsseldorf gibt dem Versicherer recht. Ein Entschädigungsanspruch aus der Inhaltsversicherung steht dem Zahnarzt nicht zu. Maßgeblich für die Unvorhersehbarkeit des Schadens ist die rechtzeitige Kenntnis bzw. die Kenntnismöglichkeit vom drohenden Schaden. Dabei kommt es darauf an, ob der drohende Schaden für den Versicherungsnehmer und seinen Repräsentanten unvorhersehbar eintritt und auch mit der erforderlichen Sorgfalt nicht abgewendet werden kann. Dabei trifft den Versicherungsnehmer die Beweislast dafür, dass ein Sachschaden vorliegt, der unvorhersehbar war (so auch OLG Saarbrücken, Urteil vom 20.05.2022 – 5U 60/21).

 

Diesen Beweis hat der Arzt nicht erbracht. Ihm war bewusst, dass es bei der Demontage durch ungeschulte Arbeitskräfte zu Schäden kommen kann. Dies belegen seine zuvor ausgesprochenen Warnungen. Es reicht insoweit das Erkennen eines möglichen Schadens in seinen wesentlichen Komponenten. Nicht erforderlich ist die sichere Kenntnis des konkreten Schadens in allen Einzelheiten.

 

Ferner war der Schaden nicht unvorhergesehen. Der Zahnarzt hatte die Möglichkeit, diesen vorher abzuwenden. Zwar ist nach dem Wortlaut der Klausel nicht auf das Erfordernis einer Abwendungsmöglichkeit abzustellen. Der Wortlaut werde in Rechtsprechung und Literatur jedoch weit ausgelegt. Er decke auch Schäden ab, die zwar vorhergesehen worden wären, aber erst so spät, dass eine Möglichkeit zur Abwendung des Schadens nicht mehr bestand. Nach dem Vergleich war es dem Zahnarzt indes noch möglich, die Räumung selbst vorzunehmen bzw. vornehmen zu lassen. Nachdem die ihm gesetzte Frist zur Räumung abgelaufen war, musste er damit rechnen. Die Unvorhersehbarkeit des Schadens setze nicht voraus, dass der Versicherungsnehmer oder sein Repräsentant den vorhersehbaren Schaden selbst herbeiführen oder durch Dritte unter ihrer Kontrolle herbeiführen lassen. Es ist im Rahmen der Allgefahrenversicherung letztlich unerheblich, durch wen bzw. wodurch der Schaden verursacht wird.

 

Das Erfordernis eines unvorhergesehen eingetretenen Sachschadens findet sich in der Praxis in nahezu allen technischen Versicherungen. Darüber hinaus sind gleichlautende Klauseln in anderen Allgefahrendeckungen zu finden, wie die vorstehende Entscheidung zur Inhaltsversicherung zeigt. A § 2 Nr. 1 ABN 2008/2011 und A1-2.1 ABB L 2018 sind ebenfalls gleichlautend. Es ist in der Rechtsprechung und Literatur zu den technischen Versicherungen nahezu unstreitig, dass der VN den unvorhergesehenen Sachschaden nach allgemeinen Beweislastregeln zu beweisen hat. Zur Schlüssigkeit seiner Klage reicht zunächst die pauschale Behauptung. Der Versicherer hat sodann substantiiert vorzutragen, dass der Vortrag ganz oder teilweise nicht zutrifft. Anschließend muss der Versicherungsnehmer die von ihm behaupteten Tatsachen beweisen.

 

Weniger einheitlich sind die Rechtsauffassungen zu der Frage, wer das sich aus der groben Fahrlässigkeit ergebende Kürzungsrecht des Versicherers zu beweisen hat. Das OLG Celle hat in dem Kürzungsrecht eine sekundäre Risikobegrenzung gesehen, sodass der Versicherer nach allgemeinen Grundsätzen die Beweislast trägt (OLG Celle, Urteil vom 13.10.2016 – 8U 21/16). Sieht man in der gesamten Klausel dagegen eine umfassende primäre Risikobeschreibung, trägt der Versicherungsnehmer nach allgemeinen Grundsätzen die Beweislast.

Stefan Schmitz-Gagnon, Fachanwalt für Versicherungsrecht
Stefan Schmitz-Gagnon