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Coronavirus – Auswirkungen auf den Bauablauf

Die Ausbreitung des Coronavirus bestimmt die Schlagzeilen. Sportveranstaltungen, Messen, Konzerte und andere Ereignisse werden abgesagt. Das öffentliche Leben wird derzeit heruntergefahren. Auch Unternehmen haben reagiert. Betriebsinterne Veranstaltungen und Besprechungen werden abgesagt und sogar Kantinen geschlossen. Schulschließungen, Einschränkungen für Gastronomie und Verkehr, Sperrzonen und Ausgehverbote sind angeordnet oder stehen in der Diskussion. Was ist aber aus baurechtlicher Sicht zu veranlassen, wenn der Coronavirus auch meine Baustelle oder mein Bauvorhaben „befällt“.

 

Dies wird auch Auswirkungen auf laufende, unmittelbar bevorstehende oder geplante Bauvorhaben haben; sei es, dass einzelne Arbeitnehmer oder ganze Betriebe sich in eine von den zuständigen Gesundheitsbehörden angeordnete Quarantäne begeben müssen, sei es dass Baustellen, Lagerplätze oder Produktionsstätten für Baumaterialien sich in Gebieten befinden, die unter Quarantäne gestellt werden. Häufig wird dies Auswirkungen auf den Bauablauf haben, so dass vereinbarte Ausführungsfristen nicht eingehalten werden können.

 

Vereinzelt weisen Verträge Klauseln auf, die den Umgang mit einer solchen Pandemie regeln. So existieren bspw. manche force-majeure-Klauseln in Verträgen des internationalen Anlagenbaus. Andere Regelungen finden sich oftmals über den gesamten Bauvertrag verteilt.

 

Soweit den Bauverträgen die VOB/B zugrunde liegt, ist auf mögliche Behinderungen des Auftragnehmers § 6 Abs. 2 Nr. 1 VOB/B anzuwenden. Ausführungsfristen sind danach angemessen zu verlängern, wenn die Behinderung des Auftragnehmers auf höherer Gewalt beruht. Dies ist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BGH, VII ZR 172/86) ein von außen kommendes und keinen betrieblichen Zusammenhang aufweisendes, nicht voraussehbares und auch durch äußerste Sorgfalt nicht abwendbares Ereignis. Spätestens seitdem die WHO COVID-19 am 11.03.2020 als Pandemie einstufte, dürften die konkreten, durch den Coronavirus herbeigeführten Behinderungen des Auftragnehmers auf höherer Gewalt beruhen. Gleiches dürfte aber auch für vorher bereits seitens der Gesundheitsämter angeordnete Quarantänen gelten. Ob eine vorsorgliche, also freiwillige und nicht von den Behörden angeordnete Quarantäne eine höhere Gewalt in diesem Sinne darstellt, erscheint zweifelhaft.

 

Ansprüche des Auftraggebers wegen Bauzeitverzögerungen scheiden damit aus. Gleiches gilt für Schadensersatzansprüche wegen Bauablaufstörungen (§§ 6 Abs. 6, 5 Abs. 4 VOB/B) und Vertragsstrafen, da es regelmäßig an dem erforderlichen Verschulden des Auftragnehmers fehlt.

 

Wenn der Bauvertrag erst nach dem Bekanntwerden des Coronavirus geschlossen wurde, dürfte der Virus und die damit verbundenen Quarantänemaßnahmen kein unvorhersehbares Ereignis mehr darstellen mit der Folge, dass kein Fall höherer Gewalt mehr vorliegt. Ausführungsfristen wären dann wohl nicht anzupassen.

 

Sollte die Behinderung infolge COVID-19 länger andauern, ohne endgültig unmöglich zu werden, kann der Auftragnehmer seine bisherigen Leistungen nach den Vertragspreisen abrechnen. Daneben kann er Ersatz der Kosten verlangen, die ihm bereits entstanden und die in den Preisen der noch nicht ausgeführten Leistungen enthalten sind (§ 6 Abs. 5 VOB/B).

 

Sofern die Behinderung durch den Coronavirus länger als 3 Monate andauern sollte, sind beide Vertragsparteien berechtigt, den Vertrag zu kündigen (§ 6 Abs. 7 VOB/B). Die Leistungen des Auftragnehmers sind dann wie beschrieben abzurechnen.

 

Bereits vor Ablauf der 3 Monate kann einer Partei in besonderen Ausnahmefällen ein Recht zum Rücktritt vom Vertrag zustehen. Dies ist dann der Fall, wenn eine Anpassung des Vertrags, insbesondere der Ausführungsfristen, nicht möglich ist und der Partei ein Festhalten am Vertrag unzumutbar ist, § 313 Abs. 3 BGB.

 

Sobald die Behinderung durch den Coronavirus wegfällt, ist dies dem Auftraggeber vom Auftragnehmer anzuzeigen und er hat die Arbeiten unverzüglich wieder aufzunehmen, § 6 Abs. 3 VOB/B.

 

Für reine BGB-Bauverträge gibt es keine speziellen Regelungen zu den Ausführungsfristen und ihrer Verlängerung etc. Maßgeblich ist dort insbesondere das allgemeine Leistungsstörungsrecht sowie der Wegfall der Geschäftsgrundlage. Ein Verzug des Auftragnehmers scheidet mangels Verschulden regelmäßig aus. Ebenso werden Ansprüche nach § 642 BGB häufig ausscheiden, da es am Gläubigerverzug fehlt, wenn ihm die Annahme der Leistung nicht zumutbar ist.

 

Ob und wie konkret der Vertrag über das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage angepasst werden muss oder einer Partei gar ein Rücktrittsrecht zusteht, ist im Einzelfall im Rahmen einer umfassenden Abwägung der beiderseitigen Interessen zu beurteilen. In vielen Fällen wird dies wohl zu vergleichbaren Ergebnissen wie unter Einbeziehung der VOB/B führen.

 

Praxishinweis

 

Auftragnehmern ist – trotz Offenkundigkeit infolge der Allgegenwärtigkeit des Themas in den Medien – zu empfehlen, die konkrete Behinderung dem Auftraggeber schriftlich anzuzeigen. Der Behinderungsanzeige sollte zu entnehmen sein, welche Arbeitskräfte infolge der Anordnung welcher Kommune nicht arbeiten können oder welches Material von welchem Großhändler infolge welcher Behinderung nicht mehr bezogen werden kann. In gleicher Weise sollte der Wegfall der Behinderung angezeigt werden. Je konkreter die Anzeigen desto größer die Transparenz sowie die Möglichkeit der späteren Überprüfung derselben, wenn es zum Streit über Ausführungsfristen o.ä. kommen sollte.

 

Umgekehrt sollten Auftraggeber darauf achten, dass ihnen vorgelegte Behinderungsanzeigen den notwenigen Grad der Konkretisierung aufweisen. Gegebenenfalls ist der Auftragnehmer hierauf frühzeitig hinzuweisen.

 

Wenn Sie Fragen dazu haben, wie Sie sich in der aktuellen Situation am besten verhalten, rufen Sie uns an!

 


Dr. Ronald M. Roos

Stefan Schmitz-Gagnon