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EuGH: Widerruf kann Verbraucher von jeglicher Vergütungspflicht entbinden!

Architekten, Fachplaner, Bauunternehmen und Handwerker schließen nicht selten Verträge mit Verbrauchern außerhalb ihrer Geschäftsräume. Werden dabei die Informationspflichten nach § 312d BGB i.V.m. Art. 246a EGBGB missachtet, kann dies zum vollständigen Verlust der Honorar- bzw. Vergütungsansprüche führen. Denn der EuGH kommt in seinem Urteil vom 17.05.2023 – Rs. C-97/22 zu dem Ergebnis, dass Art. 14 Abs. 4 a i und Art. 14 Abs. 5 Richtlinie 2011/83/EU dahin auszulegen sind, dass sie einen Verbraucher von jeder Verpflichtung zur Vergütung der Leistungen befreien, die in Erfüllung eines außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Vertrags erbracht wurden, wenn ihm der betreffende Unternehmer die Informationen gem. Art. 14 Abs. 4 a i Richtlinie 2011/83/EU nicht übermittelt hat und der Verbraucher sein Widerrufsrecht nach Erfüllung dieses Vertrags ausgeübt hat.

 

Problem / Sachverhalt:

 

Ein Verbraucher schließt im Oktober 2020 mit einem Unternehmer mündlich einen Vertrag über die Erneuerung der Elektroinstallation in seinem Haus, ohne über sein Widerrufsrecht unterrichtet zu werden. Nach Erbringung seiner vertraglichen Leistungen legt der Unternehmer die Rechnung vor, die der Verbraucher nicht begleicht. Im Weiteren tritt der Unternehmer seine Ansprüche aus dem Vertrag mit dem Verbraucher ab. Nachdem der Verbraucher den Widerruf des Vertrags erklärt hat, erhebt der neue Gläubiger Klage auf Vergütung. Er macht geltend, es bestehe trotz des Widerrufs des Verbrauchers ein Anspruch auf Zahlung. Der Ausschluss eines solchen Anspruchs aufgrund der Verletzung der Informationspflicht stelle unter Verstoß gegen den 57. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/83/EU eine „unverhältnismäßige Sanktion“ dar. Das Landgericht Essen legt dem EuGH die Frage vor, ob Art. 14 Abs. 5 der Richtlinie 2011/83/EU dahin auszulegen ist, dass jeglicher Anspruch des Unternehmers auf „Wertersatz“ auch dann ausgeschlossen ist, wenn der Verbraucher sein Widerrufsrecht erst nach Erfüllung eines außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrags ausgeübt und damit unter Verletzung des vom Gerichtshof als allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts anerkannten Verbots ungerechtfertigter Bereicherung einen Vermögenszuwachs erlangt hat.

 

Entscheidung:

 

Der EuGH bejaht die Vorlagefrage. Art. 14 Abs. 4 Buchst. a Ziff. i und Art. 14 Abs. 5 der Richtlinie 2011/83/EU befreien, wenn der Unternehmer es vor Abschluss eines Vertrags außerhalb von Geschäftsräumen im Sinne von Art. 2 Nr. 8 der Richtlinie unterlässt, einem Verbraucher die in Art. 6 Abs. 1 Buchst. h oder j der Richtlinie genannten Informationen bereitzustellen, und der Verbraucher sein Widerrufsrecht ausübt, den Verbraucher von jeder Verpflichtung, diesem Unternehmer den Preis für die von ihm während der Widerrufsfrist erbrachten Dienstleistung zu zahlen. Der so vom Verbraucher erzielte Vermögenszuwachs laufe auch nicht dem Grundsatz des Verbots ungerechtfertigter Bereicherung entgegen. Die Richtlinie verfolgt den Zweck, gemäß ihrem Art. 1 ein hohes Verbraucherschutzniveau sicherzustellen, wie es in Art. 169 AEUV und in Art. 38 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert ist. Das mit der Richtlinie festgelegte Ziel geriete in Gefahr, falls Art. 14 Abs. 5 der Richtlinie dahin auszulegen wäre, dass er es erlaubt, von der Anwendung der eindeutigen Bestimmungen von Art. 9 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 4 Buchst. a Ziff. i der Richtlinie dergestalt abzusehen, dass einem Verbraucher in der Folge seines Widerrufs eines außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Dienstleistungsvertrags Kosten entstehen könnten, die in dieser Richtlinie nicht ausdrücklich vorgesehen sind.

 

Praxishinweis:

 

Für Architekten, Fachplaner, Bauunternehmen und Handwerker kann die Missachtung der verbraucherschützenden Informationspflichten zum finanziellen Fiasko werden. Allerdings führt nicht jede Vertragsanbahnung außerhalb der Geschäftsräume zu einem „außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag“. Dies ist nur der Fall, wenn eine der in § 312b Abs. 1 Nr. 1 bis 4 BGB bzw. Art. 2 Nr. 8 Buchst. a bis d der Richtlinie 2011/83/EU aufgeführten vier Fallkonstellationen vorliegen.

 

Außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag sind nach § 312b Abs. 1 BGB Verträge,

 

1. die bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit des Verbrauchers und des Unternehmers an einem Ort geschlossen werden, der kein Geschäftsraum des Unternehmers ist,

 

2. für die der Verbraucher unter den in Nummer 1 genannten Umständen ein Angebot abgegeben hat,

 

3. die in den Geschäftsräumen des Unternehmers oder durch Fernkommunikationsmittel geschlossen werden, bei denen der Verbraucher jedoch unmittelbar zuvor außerhalb der Geschäftsräume des Unternehmers bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit des Verbrauchers und des Unternehmers persönlich und individuell angesprochen wurde, oder

 

4. die auf einem Ausflug geschlossen werden, der von dem Unternehmer oder mit seiner Hilfe organisiert wurde, um beim Verbraucher für den Verkauf von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen zu werben und mit ihm entsprechende Verträge abzuschließen.

 

Eine umfassende Information nach den Vorgaben des § 312d BGB i.V.m. Art. 246a EGBGB ist daher für Architekten, Fachplaner, Bauunternehmen und Handwerker unerlässlich, wenn sie mit einem Verbraucher einen „außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag“ schließen.


Dr. Ronald M. Roos