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Gesamtschuldnerausgleich zwischen dem objektbetreuenden Architekten und dem bauausführenden Unternehmen?

Nach ständiger Rechtsprechung des BGH haften der Architekten bei mangelhafter Planung oder Bauüberwachung (Leistungsphasen 1 bis 8) und der mangelhaft ausführende Unternehmer gesamtschuldnerisch. Diese Rechtsprechung hat der Gesetzgeber beim neuen Bauvertragsrecht in § 650t BGB übernommen. Der BGH hatte nun zu entscheiden, ob auch der objektbetreuende Architekt (Leistungsphase 9) mit dem bauausführenden Unternehmen gesamtschuldnerisch haftet.

 

Der BGH kommt in seinem Urteil vom 01.12.2022 – VII ZR 90/22 zu dem Ergebnis, dass ein Gesamtschuldnerausgleichsanspruch des Architekten gegen den bauausführenden Unternehmer mangels Gesamtschuldverhältnisses nicht besteht, wenn dem Besteller einerseits ein Schadensersatzanspruch nach § 634 Nr. 4 BGB gegen den Architekten wegen Verletzung der vertraglich vereinbarten Objektbegehungspflicht zusteht und ihm andererseits Mängelansprüche gegen den bauausführenden Unternehmer wegen diesem zuzurechnender Mängel des Bauwerks zustehen.

 

Problem / Sachverhalt:

 

Der Haftpflichtversicherer des von der Bauherrin in Anspruch genommenen objektbetreuenden Architekten macht nach teilweiser Zahlung an die Bauherrin aus übergegangenem Recht (§ 86 VVG) gegenüber dem bauausführenden Unternehmen, welches die Mängel verursacht hat, Gesamtschuldnerausgleichsansprüche gemäß § 426 Abs. 1 BGB bzw. § 426 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 633 ff. BGB geltend. Die Pflichtverletzung des Architekten in der Leistungsphase 9 beruhte darauf, dass er es versäumt hatte, die nach der Abnahme der Bauleistungen aufgetretenen Feuchtigkeitserscheinungen durch einen Sachverständigen untersuchen zu lassen. Dadurch verjährten insoweit die Mängelansprüche des Bauherren gegen das bauausführende Unternehmen und gegen den Architekten selbst bezogen auf dessen Leistungen in den Leistungsphasen 1 bis 8, die nach Abschluss der Leistungsphase teilabgenommen worden waren. Das LG Karlsruhe und das OLG Karlsruhe hatten Gesamtschuldnerausgleichsansprüche abgelehnt.

 

Entscheidung:

 

Der BGH bestätigt die Entscheidung des Oberlandesgerichts. Es besteht kein Gesamtschuldverhältnis zwischen dem Architekten, der seine Pflicht zur Objektbegehung im Rahmen der Objektbetreuung verletzt hat, und dem bauausführenden Unternehmer, dem Mängel des Bauwerks zuzurechnen sind. Voraussetzung für eine gesamtschuldnerischen Haftung ist, dass zwischen den Haftenden aufgrund der Gleichstufigkeit der Verpflichtungen eine Tilgungsgemeinschaft besteht. Diese fehlt, wenn der Leistungszweck der einen gegenüber der anderen Verpflichtung nachrangig ist. Der Schadensersatzanspruch gegen den objektbetreuenden Architekten entsteht erst mit Eintritt der Verjährung der gegen den bauausführenden Unternehmer gerichteten Mängelansprüche. Denn eine Erfüllung der gegen den bauausführenden Unternehmer gerichteten Mängelansprüche durch diesen vor Eintritt der Verjährung dieser Ansprüche würde nicht als Erfüllung für den Architekten wirken, sondern dazu führen, dass der genannte Schadensersatzanspruch gegen den Architekten gar nicht erst entsteht.

 

Praxishinweis:

 

Voraussetzung für eine Gesamtschuld zwischen mehreren Haftenden ist die Gleichstufigkeit ihrer Verpflichtungen. Die Schadensersatzpflicht des Architekten wegen mangelhafter Planung oder Bauüberwachung (Leistungsphasen 1 bis 8) und die Nacherfüllungspflicht des bauausführenden Unternehmers sind nach ständiger Rechtsprechung gleichstufig. Diese Rechtsprechung hat der Gesetzgeber mit der Einführung des neuen § 650t BGB bestätigt. Zwischen dem Architekten, der nur für die mangelhafte Objektbetreuung (Leistungsphase 9) haftet, und dem bauausführenden Unternehmer, dem die Mängel des Bauwerks zuzurechnen sind, besteht aus den vom BGH zutreffend dargelegten Gründen eine solche Gleichstufigkeit nicht.

 

Das Urteil ist zwar zur Rechtslage vor dem 01.01.2018 ergangen, aber auf das aktuelle Bauvertragsrecht übertragbar.


Dr. Ronald M. Roos