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Die Mindest- und Höchstsätze der HOAI sind nach einer Entscheidung des EuGH europarechtswidrig. Welche konkreten Folgen ergeben sich aus der Entscheidung für die Vertragsgestaltung und laufende Prozesse?

Der EuGH hat in einem Vertragsverletzungsverfahren mit Urteil vom 04.07.2019 festgestellt, dass die Bundesrepublik Deutschland gegen die Dienstleistungsrichtlinie verstößt, indem sie verbindliche Honorare für die Planungsleistungen von Architekten und Ingenieuren beibehalten hat. Die Mindest- und Höchstsätze der HOAI sind europarechtswidrig. Umstritten sind die Folgen dieser Entscheidung. In unzähligen laufenden Honorarprozessen, in denen sich die Architekten und Ingenieure auf die Mindestsätze berufen, werden diese und weitere Fragen nunmehr zu klären sein.

 

Die Entscheidung des EuGH ist im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens (Kommission./. Bundesrepublik Deutschland – Rs. C-377-17) ergangen. Adressat der dortigen Feststellung ist nach Art 260 AEUV der Mitgliedstaat, also die Bundesrepublik Deutschland. Dementsprechend wird zum Teil angenommen, dass das Urteil keine Wirkungen unter Privaten entfalte, die sich im Rahmen eines Zivilrechtsstreits gegenüberstehen (so KG, Beschluss vom 19.08.2019 – 21 U 20/19, IBR 2019, 564; OLG Hamm, Urteil vom 23.07.2019 – 21 U 24/18, IBR 2019, 503). Richtigerweise ist dagegen anzunehmen, dass alle Organe des verurteilten Mitgliedsstaates – auch die Gerichte – und nicht nur die am Prozess beteiligte Regierung die Entscheidung umzusetzen haben. Konkret ist es den Gerichten verboten, die mit dem Unionsrecht nicht in Einklang stehende Regelung der verbindlichen Mindest- und Höchstsätze (§ 7 HOAI) weiter anzuwenden (so zutreffend OLG Düsseldorf, Urteil vom 17.09.2019 – 23 U 155/18, IBR 2019, 3337; OLG Celle, Urteil vom 17.07.2019 – 14 U 188/18, IBR 2019, 1147). Der BGH wird möglicherweise schon bald Gelegenheit haben, sich zu der Frage zu äußern. Gegen die letztgenannte Entscheidung läuft derzeit ein Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren (Az. VII ZR 179/19). 

 

Der EuGH begründet seine Entscheidung damit, dass Mindestsätze zur Sicherung der Qualität von Planungsleistungen zwar grundsätzlich geeignet seien. Dieses Ziel werde aber nicht in kohärenter und systematischer Weise verfolgt, da die Planungsleistungen auch von anderen Personen als Architekten und Ingenieuren erbracht werden können. Dies bedeutet, dass der Gesetzgeber die HOAI wohl retten könnte, wenn er Nichtarchitekten und Nichtingenieure von der Erbringung der Planungsleistungen ausschließen würde. Ob es ausreichen würde, den Anwendungsbereich der HOAI auf berufsstandsbezogene Leistungen zu beschränken, erscheint fraglich. Wann und wie der Gesetzgeber auf das Urteil des EuGH reagieren wird, ist derzeit noch offen.

 

Schwierig ist die Frage zu beantworten, welche weiteren Regelungen neben dem Verbot der Honorarvereinbarung außerhalb der Mindest- und Höchstsätze nach § 7 HOAI von dem Urteil betroffen sind. Dies gilt für all die Regelungen der HOAI, die sich auf dieses Verbot beziehen. Beispielhaft hierfür stehen die nachstehenden Regelungen:

 

  • § 7 Abs. 3 HOAI lässt die Unterschreitung der Mindestsätze nur in Ausnahmefällen zu. Diese Bestimmung dürfte nach den Entscheidungsgründen des EuGH keine Anwendung mehr finden dürfen.
  • Gleiches gilt für § 7 Abs. 4 HOAI und die Überschreitung der Höchstsätze.
  • § 8 Abs. 1 und 2 HOAI bestimmt, dass bei der Übertragung nur einzelner Leistungsphasen oder nur einzelner Grundleistungen einer Leistungsphase allein die hierfür vorgesehenen Prozentsätze abgerechnet werden dürfen. Auf diese Weise soll verhindern wiederum die Einhaltung der Mindestsätze sichergestellt werden, was der EuGH-Entscheidung zuwider läuft.
  • Gleiches gilt für § 9 HOAI, der für die Übertragung einzelner Leistungsphasen einen höheren, aber dennoch in der Höhe begrenzten Prozentsatz vorsieht. Dies widerspricht ebenfalls der Entscheidung des EuGH. 

 

Die Liste ließe sich anhand zahlreicher weiterer Tatbestände der HOAI fortschreiben. Jedoch ist die HOAI damit nicht insgesamt gegenstandslos. Es gibt daneben Regelungen, die trotz der Entscheidung des EuGH weiterhin Geltung beanspruchen: Exemplarisch sei auf die folgenden Bestimmungen verwiesen:

 

  • Nach § 7 Abs. 5 HOAI besteht eine unwiderlieglich Vermutung für die Vereinbarung der Mindestsätze, wenn die Parteien keine abweichende schriftliche Honorarvereinbarung bei Auftragserteilung getroffen haben. Weder das Schriftformerfordernis noch der Zeitpunkt der Honorarvereinbarung „bei Auftragserteilung“ stellen nach den Entscheidungsgründen einen Verstoß gegen das Europarecht dar (anders dagegen das LG Bonn - Urteil vom 18.09.2019 – 20 O 299/16, das die Regelung für systematisch untrennbar mit der unwirksamen Mindestsatzregelung in § 7 Abs. 1 HOAI verknüpft hält.
  • § 6 Abs. 2 Satz 4 HOAI statuiert bei fehlender schriftlicher Vereinbarung die unwiderlegliche Vermutung, dass ein Zuschlag von 20 % ab einem durchschnittlichen Schwierigkeitsgrad vereinbart ist. Dies steht wohl nicht in Widerspruch zu den Erwägungen des EuGH (für eine Unwirksamkeit aber LG München I, Beschluß vom 24.09.2019 – 5 O 13187/19)
  • Gleiches gilt für die Fälligkeitsregelung in § 15 Abs. 1 HOAI sowie das Schriftformerfordernis für abweichende Fälligkeitsregelungen.

 

Praxishinweis

 

Der Gesetzgeber ist schon europarechtlich verpflichtet, die HOAI infolge des Urteils anzupassen. Daneben obliegt es der Rechtsprechung herauszuarbeiten, welche Bestimungen der HOAI nach der Entscheidung vom 04.07.2019 noch anwendbar bleiben. Bis dahin besteht in vielen Fällen nur geringe Rechtssicherheit. Mehr denn je ist daher sowohl Bauherren als auch Architekten und Ingenieuren zu empfehlen, klare Vergütungsabsprachen mit ihren Vertragspartnern zu treffen. Diese können sich auch weiterhin an der Honorarberechnung nach der HOAI orientieren. Es ist nur ausdrücklich zu vereinbaren.
 

Stefan Schmitz-Gagnon, Fachanwalt für Versicherungsrecht
Stefan Schmitz-Gagnon