| Vergaberecht

Tücken bei der Kommunikation im Vergabeverfahren

Seit Oktober 2018 werden Vergabeverfahren ausschließlich elektronisch abgewickelt. Welche Risiken die elektronischen Kommunikation für den öffentlichen Auftraggeber und für die Unternehmen mit sich bringt, zeigen drei aktuelle Entscheidungen. Danach gilt:

 

Wird in den Bewerbungsbedingungen klargestellt, dass im Vergabeverfahren die Kommunikation mit den am Vergabeverfahren beteiligten Unternehmen ausschließlich über eine Vergabeplattform erfolgen soll, dann muss sich der öffentliche Auftraggeber hieran im Wege einer Selbstbindung festhalten lassen. Eine nachträgliche, stillschweigende Änderung dieser Selbstbindung, beispielsweise durch Versendung eines fristgebundenen Nachforderungsschreibens per E-Mail, ist dann ausgeschlossen. Die Vergabekammer Sachsen begründet dies in ihrem Beschluss vom 14.04.2023 – 1/SVK/003-23 damit, dass zwischen dem öffentlichen Auftraggeber und dem jeweiligen Bieter spätestens ab dem Zeitpunkt der Angebotsabgabe ein vertragsähnliches Vertrauensverhältnis zu Stande, das zu gegenseitiger Rücksichtnahme verpflichtet und auf beiden Seiten Sorgfaltspflichten begründet. Dieses verlangt gemäß § 241 Abs. 2 BGB die Rücksichtnahme auf Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils. Dieser Verpflichtung widerspricht es, von einem mit den Bewerbungsbedingungen angekündigten Kommunikationsweg stillschweigend abzuweichen. Ein Ausschluss des Angebots nach § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV kommt dann nicht in Betracht.

 

Die Aufforderung zur Abgabe finaler Angebote im Verhandlungsverfahren nach § 17 Abs. 14 Satz 1 VgV bedarf allerdings grundsätzlich des Zugangs beim Bieter. Sie ist als geschäftsähnliche Handlung zu qualifizieren, da sie auf den Abschluss der Verhandlungen gerichtet ist und als gesetzliche Folge das Verhandlungsverbot über die finalen Angebote nach § 17 Abs. 10 Satz 1 VgV nach sich zieht. Darauf weist die Vergabekammer Südbayern in ihrem Beschluss vom 23.05.2023 – 3194.Z3-3_01-22-63 hin. Der Zugang einer E-Mail erfordert, dass sie auf einem vom Empfänger für den Empfang von E-Mail-Nachrichten genutzten Mailserver abrufbereit zur Verfügung gestellt wird (vgl. auch BGH, Urteil vom 06.10.2022 - VII ZR 895/21). Für den Zugang von Erklärungen, die im Bieterbereich einer Vergabeplattform eingestellt werden, ist erforderlich, dass den Bietern unmissverständlich mitgeteilt wird, dass dieser Bieterbereich für die Zustellung rechtserheblicher Erklärungen genutzt wird. Dies ist nicht der Fall, wenn sowohl die Erläuterungen in der Auftragsbekanntmachung oder den Vergabeunterlagen als auch im Benutzerhandbuch der Vergabeplattform darauf hinweisen, dass verfahrenserhebliche Erklärungen an die bei der Registrierung angegebene E-Mail-Adresse versendet werden.

 

Aber auch bei Vergabeverfahren unterhalb der Schwellenwerte kann bei der Angebotsabgabe Sorgfalt geboten sein. Denn nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 VOB/A 2016 kann der öffentliche Auftraggeber festlegen, welche elektronischen Mittel (§§ 11, 11a VOB/A 2016) bei der Einreichung von elektronischen Angeboten zu verwenden sind. Werden vorgegebene elektronische Mittel bei der Einreichung des Angebots nicht verwendet, ist das Angebot nicht formgerecht übermittelt und gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 2 VOB/A 2016 auszuschließen (BGH, Urteil vom 16.05.2023 – XIII ZR 14/21). Hat der öffentliche Auftraggeber daher festgelegt, dass das elektronische Angebot in einem bestimmten Datei-Format (GAEB-Datei) zu übermitteln ist und reicht der Bieter das Angebot im PDF-Format ein, führt dies zum Ausschluss des Angebots.

Dr. Ronald M. Roos, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht, Fachanwalt für Versicherungsrecht
Dr. Ronald M. Roos