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Unfallschaden: Reparatur günstiger als fiktive Abrechnung?

Das OLG München stellt mit Endurteil vom 17.12.2020, Az. 24 U 4397/20 klar, dass ein Geschädigter auch dann fiktiv nach Gutachten abrechnen darf, wenn er eine Reparatur tatsächlich durchführt. Er kann dann vom Versicherer nicht dazu verpflichtet werden, eine Rechnung vorzulegen.

Grundsätzlich hat der Geschädigte die Wahl, ob er nach einer Beschädigung seines Fahrzeuges die tatsächlich angefallenen oder die ausweislich eines Sachverständigengutachtens erforderlichen Reparaturkosten als Schadensersatz geltend macht (sog. fiktive Abrechnung). Kritisch wird es aber, wenn der Geschädigte nach durchgeführter vollständiger und fachgerechter Reparatur fiktiv abrechnet. Nach Auffassung des OLG München ist dies möglich. Und der Geschädigte muss keine Einzelheiten offenlegen oder die Rechnung präsentieren, auch dann nicht, wenn der Verursacher des Schadens behauptet, dass die tatsächlich angefallenen Kosten niedriger als die fiktiven seien.

 

Problem / Sachverhalt:

 

Nach einem Unfall musste sich der Geschädigte eine hälftige Mithaftung anrechnen lassen. Er ließ seinen Fahrzeugschaden begutachten und anschließend seinen Pkw reparieren. Angaben dazu, was ihn die Instandsetzung gekostet hatte, machte er nicht. Er wollte seinen Schaden auf Gutachtenbasis abrechnen, also fiktiv. Die Reparaturkosten waren im Gutachten mit 9.355,78 € netto angesetzt. Der Kfz-Haftpflichtversicherer des Unfallgegners lehnte die Zahlung des anteiligen Geldbetrages auf Basis des Sachverständigengutachtens ab und behauptete pauschal, dass die Reparatur lediglich 5.000,00 € gekostet hätte. Nur darauf bezogen wollte er seinen hälftigen Anteil zahlen. Die Sache ging vor Gericht.

In erster Instanz unterlag der Geschädigte (LG Kempten, Endurteil vom 30.06.2020 – 33 O 1010/19). Nach Auffassung des LG Kempten bestand eine sekundäre Darlegungslast des Geschädigten dahingehend, im Einzelnen darzutun, welche Herstellungsmaßnahmen tatsächlich veranlasst wurden und auch die Reparaturrechnung vorzulegen. Als Folge bekam er nur die Hälfte von 5.000,00 € zugesprochen. Dagegen legte er Berufung ein.

 

Entscheidung:

 

Mit Erfolg. Das OLG München bestätigt die grundsätzliche Wahlfreiheit, entweder die tatsächlich anfallenden Kosten oder die durch ein Sachverständigengutachten ermittelten (fiktiven) Kosten abzurechnen. Die Entscheidung des BGH vom 03.12.2013 (VI ZR 24/13 ‒ juris Rn. 12), spreche nicht gegen dieses Ergebnis. Da hatte der Geschädigte vollständig und fachgerecht, aber in einer Werkstatt mit niedrigeren Preisen reparieren lassen (kalkuliert waren die Kosten der Markenwerkstatt vor Ort, das Fahrzeug war jünger als drei Jahre). Die kalkulierten Kosten hatte der Versicherer bereits netto gezahlt. Und nun wollte der Geschädigte noch die Mehrwertsteuer aus der tatsächlich entstandenen Rechnung erstattet bekommen. Also hat er die niedrigere Rechnung präsentiert. Nach Auffassung des OLG München sind beide Fälle nicht miteinander vergleichbar. Es sei ein Unterschied, ob der Geschädigte die Rechnung über die tatsächlich entstandenen Kosten selbst vorlegt oder ob der Versicherer meint, den Geschädigten dazu zwingen zu können. Letzteres würde die Wahlfreiheit des Geschädigten, ob er sein Fahrzeug reparieren lässt oder nicht, unterlaufen.

 

Praxishinweis:

 

Die Entscheidung des OLG München fügt sich die Rechtsprechung des BGH ein. Insoweit kann auf die Entscheidung des BGH (Urteil vom 25.09.2019, Az. VI ZR 65/18) verwiesen werden. Dort heißt es unter Rz. 6: „Nach der Rechtsprechung des Senats besteht in der Regel ein Anspruch des Geschädigten auf Ersatz der in einer markengebundenen Fachwerkstatt anfallenden Reparaturkosten unabhängig davon, ob der Geschädigte das Fahrzeug tatsächlich voll, minderwertig oder überhaupt nicht reparieren lässt. Ziel des Schadensersatzes ist die Totalreparation und der Geschädigte ist nach schadensrechtlichen Grundsätzen sowohl in der Wahl der Mittel zur Schadensbehebung als auch in der Verwendung des vom Schädiger zu leistenden Schadensersatzes frei.“

Ergänzend ist auf die Entscheidung des BGH vom 17.09.2019 (Az. VI ZR 396/18) hinzuweisen, wo es unter Rz. 9 heißt: „Der Geschädigte, der nicht verpflichtet ist, zu den von ihm tatsächlich veranlassten oder auch nicht veranlassten Herstellungsmaßnahmen konkret vorzutragen, disponiert hier dahin, dass er sich mit einer Abrechnung auf einer objektiven Grundlage zufriedengibt.“

Der Geschädigte, der trotz durchgeführter Reparatur fiktiv abrechnen möchte, ist also nicht verpflichtet, die Reparaturrechnung offenzulegen.

Wer allerdings freiwillig die Rechnung offenlegt, zieht den Kürzeren. Nach der klaren Linie des BGH ist der Anspruch des Geschädigten, der die Rechnung über die vollständige Reparatur vorlegt, auf die tatsächlich entstandenen Kosten begrenzt (BGH, Urteil vom 03.12.2013, Az. VI ZR 24/13). Die Empfehlung lautet: Vorsicht vor dem klassischen Eigentor aus der Kategorie „Gier frisst Hirn“!


Tülin Mehmet-Oglou, LL.M.