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Zulässigkeit des Verbots von Pflanzenschutzmitteln im Wasserschutzgebiet mit Befreiungsmöglichkeit

Nach § 51 Abs. 1 Satz 1 WHG können die Landesregierungen durch Rechtsverordnung Wasserschutzgebiete festsetzen, soweit es das Wohl der Allgemeinheit erfordert, Gewässer im Interesse der derzeit bestehenden oder künftigen öffentlichen Wasserversorgung vor nachteiligen Einwirkungen zu schützen (§ 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WHG), das Grundwasser anzureichern (§ 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WHG) oder das schädliche Abließen von Niederschlagswasser sowie das Abschwemmen und den Eintrag von Bodenbestandteilen, Dünge- oder Pflanzenschutzmitteln in Gewässer zu vermeiden (§ 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 WHG). Das OVG Sachsen-Anhalt (Urteil vom 07.03.2023 - 4 K 7/23) hatte nunmehr im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens die Frage zu entscheiden, ob die bundesrechtlichen Anwendungsbeschränkungen für Pflanzenschutzmittel in Wasserschutzgebieten und die dazu bestimmten Ausnahmen (§ 3 Abs. 2 i.V.m. Ablage 3 Abschnitt B PflSchAnwV) weitergehenden Ausnahmen oder noch strengeren Festlegungen in landesrechtlichen Verordnungen über die Festsetzung von Wasserschutzgebieten entgegenstehen.

 

Sachverhalt

 

Die streitige Verordnung setzt ein Wasserschutzgebiet zum Schutz des Grundwassers im Einzugsgebiet der Wassergewinnungsanlage fest. Als Schutzbereiche werden drei Zonen festgelegt. Zone I stellt den Fassungsbereich, Zone II eine engere Schutzzone und Zone III eine weitere Schutzzone dar. Die Antragsteller sind Eigentümer von Grundstücken in der Schutzzone II. Die Grundstücke der Antragsteller bilden mit 129,5 ha Wald und 2,3 ha Ackerland einen wesentlichen Teil der Zone II, die insgesamt eine Fläche von ungefähr 143 ha umfasst.

 

Die Schutzbestimmungen in der Zone II sehen gemäß § 3 Abs. 1 i.V.m Nr. 5.9 der Anlage 3 der Verordnung im Sachgebiet Land- und Forstwirtschaft sowie Erwerbsgartenbau im Hinblick auf Pflanzenschutzmittel vor, dass Lagern und Anwenden (auch aus der Luft) von Pflanzenschutzmitteln verboten ist. Als Ausnahmeregelung zu den Schutzbestimmungen regelt die Verordnung, dass die untere Wasserbehörde von in dieser Verordnung erlassenen Schutzbestimmungen und Pflichten befreien kann, soweit der Schutzzweck nicht gefährdet wird, überwiegende Gründe des Allgemeinwohls dies erfordern oder die Schutzbestimmungen im Einzelfall zu einer unzumutbaren Beschränkung des Eigentums führen und die Abweichungen mit dem Schutzzweck dieser Verordnung sowie dem Gewässerschutz vereinbar sind. Die Befreiung wird dabei nur auf Antrag erteilt. Die Antragsteller beantragen, § 3 Abs. 1 i.V.m. Ziffer 5.9 der Anlage 3 der Verordnung für unwirksam zu erklären.

 

Entscheidungsgründe

 

Der Normenkontrollantrag hat in der Sache keinen Erfolg. Rechtsgrundlage im Hinblick auf die Festlegung besonderer Anforderungen in Wasserschutzgebieten ist vorliegend § 52 Abs. 1 Satz 1 WHG i.V.m. § 74 WG LSA. Nach § 52 Abs. 1 Satz 1 WHG können unter anderem in der Rechtsverordnung nach § 51 Abs. 1 WHG in Wasserschutzgebieten, soweit der Schutzzweck dies erfordert, bestimmte Handlungen verboten oder für nur eingeschränkt zulässig erklärt werden (§ 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WHG). In materieller Hinsicht liegt kein Verstoß des Verbots des Lagerns und Anwendens (auch aus der Luft) von Pflanzenschutzmitteln in der Zone II des Wasserschutzgebietes gegen höherrangiges Recht vor. Dies gilt auch für die Erstreckung des Verbots auf Pflanzenschutzmittel, die gemäß der Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung keinen Anwendungsbeschränkungen in Wasserschutzgebieten unterliegen. Aus den pflanzenschutzrechtlichen Anwendungsbeschränkungen in der Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung ist nicht zu folgern, dass umgekehrt Pflanzenschutzmittel ohne Anwendungsbeschränkungen für Wasserschutzgebiete keinen gewässerrechtlichen Maßnahmen in Gestalt von Verboten und Einschränkungen als besondere Anforderungen in Wasserschutzgebieten gemäß § 52 Abs. 1 Satz 1 WHG unterfallen dürfen.

 

Die Vorschrift des § 3 PflSchAnwV trifft keine generelle Regelung zu Einschränkungen und Verboten bei der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln, weil sie sich nur auf bestimmte in der Anlage ausdrücklich aufgeführte Stoffe bezieht. Für die ausdrücklich aufgeführten Pflanzenschutzmittel ohne Anwendungsbeschränkungen für Wasserschutzgebiete ist nach dem Verhältnis der pflanzenschutzrechtlichen Vorgaben des Bundes und den wasserschutzrechtlichen Bestimmungen insbesondere der Länder nicht zu folgern, dass das System der pflanzenschutzrechtlichen Beschränkungen und Freigaben gewissermaßen als antizipierte sachverständige Wertung durch den landesrechtlichen Verordnungsgeber für die Festlegung des Schutzniveaus von Wasserschutzgebieten zu übernehmen sei und dort keine eigenständige sachverständige Wertung erfolgen dürfe. Denn die Bestimmungen beider Regelungsbereiche verfolgen zwar gemäß § 1 Nr. 3 PflSchG und § 1 WHG einen teilweise deckungsgleichen Zweck, wenn es um die Abwehr von Gefahren für Gewässer als Teil des Naturhaushaltes geht. Die Beschränkungen des Pflanzenschutzrechts stehen aber neben den Maßnahmen des Gewässerschutzes und schränken letztere weder im Hinblick auf möglich verbleibende Ausnahmen noch strengere Anforderungen ein. Allgemein folgt dies aus der weitergehenden Befugnis der Länder gemäß § 22 Abs. 1 Nr. 1 a) PflSchG, Vorschriften über die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln in Schutzgebieten nach unter anderem wasserrechtlichen Bestimmungen zu erlassen. Konkretisiert wird diese allgemeine Öffnungsklausel im Bereich der Anwendungsbeschränkungen für Pflanzenschutzmittel durch die Gestattung von Ausnahmen für Wasserschutzgebiete in § 3 Abs. 2 Nr. 3 PflSchAnwV, nach dem die Schutzregelung für ein Wasserschutzgebiet eine Anwendung ausdrücklich gestatten kann. Umgekehrt sind strengere Vorgaben für den Gewässerschutz möglich, indem die Festsetzung von Wasserschutzgebieten gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 WHG ausdrücklich der Vermeidung des Abschwemmens und des Eintrags von Pflanzenschutzmitteln in Gewässer dienen kann, ohne dass die Art der Pflanzenschutzmittel eingegrenzt wird. Daher bleibt eine Einschränkung oder gar ein Verbot der zuständigen Behörden möglich, wenn es die örtlichen und sachlichen Gegebenheiten im Einzelfall erfordern.

 

Das angegriffene Verbot genügt auch den bundesrechtlichen Anforderungen des § 52 Abs. 1 Satz 1 WHG für die Festlegung besonderer Anforderungen in Wasserschutzgebieten. Als besondere Anforderung zur Festlegung des im Wasserschutzgebiet geltenden Schutzregimes ist das Verbot an § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WHG zu messen. Das Verbot knüpft dabei an eine Nutzung im Gebiet an, ohne sich (eingrenzend) an bestimmte Betroffene - wie Eigentümer und Nutzungsberechtigte im Sinne des § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WHG oder Begünstigte im Sinne des § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WHG - zu richten. Das Verbot und der hierauf bezogene Befreiungsvorbehalt sind nach dem Schutzzweck erforderlich, der mit den Festlegungen des Wasserschutzgebietes verbunden ist.

 

Der mit der Verordnung allgemein verfolgte Schutzzweck zur Festsetzung des Wasserschutzgebiets ist der Schutz des Grundwassers im Einzugsgebiet der Wassergewinnungsanlage. Es handelt sich um einen legitimen Zweck. Wesentlicher Bestandteil des Wassers als wichtigste Grundlage allen menschlichen, tierischen und pflanzlichen Lebens ist im Naturhaushalt das Grundwasser.

 

Ein Verbot der Lagerung und Anwendung sämtlicher Pflanzenschutzmittel ist zur Erreichung dieses Ziels in der Zone II des Wasserschutzgebietes geeignet, indem ohne eine Mittelanwendung kein Eintrag in das Grundwasser erfolgt. Die Einführung eines Erlaubnisvorbehalts kraft Verordnung ist ebenfalls ein taugliches Instrument des Gewässerschutzes, weil es die Kontrolle über die angewandten Pflanzenschutzmittel im Wege der Überprüfung auf die Vereinbarkeit mit dem Schutzzweck vor dem Mitteleinsatz erlaubt.

 

Das generelle Lagerungs- und Anwendungsverbot ist zur Verhinderung des Eintrags von Pflanzenschutzmitteln in das Grundwasser auch erforderlich. Für den konkreten Fall folgt die Erforderlichkeit aus der besonderen Schutzbedürftigkeit des gesamten Wasserschutzgebietes und gerade der Waldfläche in seiner Zone II aufgrund der dortigen hydrogeologischen Verhältnisse. Denn dem Eintrag in das Grundwasser wird nicht wesentlich durch natürliche Barrieren entgegengewirkt, wie sich aus dem hydrologisch-hydrogeologische Gutachten zur Neufestsetzung des Wasserschutzgebietes ergibt. Die Erforderlichkeit des grundsätzlichen Verbots in der Zone II des Wasserschutzgebietes ist auch mit Blick auf diejenigen Pflanzenschutzmittel gegeben, die nach der Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung keinen Anwendungsbeschränkungen in Wasserschutzgebieten unterliegen. Entgegen dem Einwand der Antragsteller handelt es sich bei einem diese Pflanzenschutzmittel ausnehmenden Teilverbot, wie es die Verordnung für die Schutzzone III des Wasserschutzgebietes vorsieht, um kein gleich geeignetes Mittel. Im Vergleich ist die Schutzwirkung eines Verbots mit Ausnahmen bereits auf Ebene der Verordnung nicht von gleicher Effektivität wie eine vorbeugende behördliche Kontrolle bei einem präventiven Verbot mit Befreiungsmöglichkeit durch Verwaltungsakt. Mit der Prüfung des für die Befreiung erforderlichen Antrags kann nicht nur sichergestellt werden, dass bestimmte Pflanzenschutzmittel den Schutzzweck nicht gefährden. Es ist auch der Erlass von Nebenbestimmungen gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 VwVfG LSA i.V.m. § 36 Abs. 2 VwVfG möglich, deren Einhaltung gemäß der Verordnung die untere Wasserbehörde überwacht. Dabei kann dem öffentlichen Interesse Rechnung getragen werden, dass durch die Art und Weise sowie das Maß der Anwendung der Schutzzweck nicht gefährdet wird. Dies geht über die Entscheidung über das „Ob“ der Zulässigkeit von Pflanzenschutzmitteln hinaus. Zudem können im Einzelfall die konkreten Interessen der Anwender mit dem Schutzzweck ins Verhältnis gesetzt werden. Die Ermächtigung zur Normsetzung in § 52 Abs. 1 Satz 1 WHG dient der Regelung der typischen und nicht der konkreten Gefährdungssachverhalte, die nach der allgemeinen Lebenserfahrung oder Erkenntnis sachkundiger Stellen erfahrungsgemäß zu Schäden führen können. Daher genügt für die Betrachtung der Erforderlichkeit eine verallgemeinernde Betrachtung des Regelfalls, um einen lückenlosen Schutz des Grundwassers zu gewährleisten. Fehlende konkrete Gefährdungspotenziale sind hingegen der Entscheidung im Einzelfall auf der Grundlage von § 52 Abs. 1 Satz 2 und 3 WHG zuzuordnen. Für die Regelung der typischen Gefährdungspotenziale kommt es mithin nicht darauf an, welche Personen den Kreis der Anwender von Pflanzenschutzmitteln in der Schutzzone voraussichtlich bilden und wie es um ihre Fachkunde bestellt ist. Dieser Kreis ist veränderlich. Die allgemeine Regelung der Verordnung erfasst hingegen nach dem abstrakten Gefahrenbild den Kreis sämtlicher potentieller Anwender.

 

Das umfassende Verbot der Lagerung und Anwendung von Pflanzenschutzmitteln in der Schutzzone II des Wasserschutzgebietes mit der Möglichkeit, eine Befreiung zu beantragen, steht nicht außer Verhältnis zum verfolgten Zweck des Grund- und zugleich Trinkwasserschutzes. Dieses Verbot ordnet die Verordnung materiell-rechtlich nur an, soweit der konkrete Schutzzweck reicht und einer Lagerung und Anwendung von Pflanzenschutzmitteln entgegensteht. Zwar bedarf es für ein formell legales Handeln zuvor eines Antrags und einer vorherigen Befreiung durch die untere Wasserbehörde. Befreiungsfähig sind Pflanzenschutzmittel aber nach der Verordnung, soweit der Schutzzweck nicht gefährdet wird, überwiegende Gründe des Allgemeinwohls dies erfordern oder bei unzumutbaren Beschränkungen des Eigentums eine Vereinbarkeit mit dem Schutzzweck und dem Gewässerschutz gegeben ist. Die Befreiungsfähigkeit stellt im Ergebnis eine Rechtslage her, die die Einzelfallentscheidung zur Zulässigkeit des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln strikt am verfolgten Schutzzweck des Grund- und Trinkwasserschutzes ausrichtet.

 

Die Verhältnismäßigkeit des erlassenen Verbots von Pflanzenschutzmitteln mit Erlaubnisvorbehalt ist auch mit Blick auf die betroffenen Grundrechte der Antragsteller, insbesondere des Schutzes ihres Eigentums und ihrer Berufsausübung als Unternehmer in der Land- und Fortwirtschaft, gegeben. Die angegriffenen Vorschriften verstoßen nicht gegen das höherrangige (Grund-) Rechte.

Dr. Ronald M. Roos, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht, Fachanwalt für Versicherungsrecht
Dr. Ronald M. Roos